Räumliche Identifikationen und Identifizierungen in Grenzregionen. Das Beispiel der Großregion SaarLorLux

Räumliche Identifikationen und Identifizierungen in Grenzregionen. Das Beispiel der Großregion SaarLorLux

Grenzraum
Großregion
Sprache(n)
Französisch
Deutsch
Einleitung

Der Beitrag analysiert die Bedeutung von nationalen Grenzen für räumliche Identitäten in Grenzregionen.

Zusammenfassung

Zwecks der Analyse der Bedeutung von nationalen Grenzen für räumliche Identitäten in Grenzregionen wird ein mehrdimensionales Analysemodell entwickelt. Am Beispiel der Großregion SaarLorLux wird sowohl nach der Repräsentation des Raums und der Organisation der Alltagspraktiken der Einwohner der Region, als auch den räumlichen Projektionen in politischen Diskursen gefragt. Es wird deutlich, dass nationale Grenzen in den Identifizierungs- und Identifikationsvorgängen der Einwohner trotz grenzüberschreitender Verflechtungen einen wichtigen Part einnehmen. Sie gelten dabei jedoch nicht als starre Ordnungskategorien.

Inhalt

Die grenzüberschreitende Region Großregion SaarLorLux wird als Beispiel für die Veranschaulichung der trennenden, als auch der verbindenden Wirkung nationaler Grenzen herangezogen. Nach einer kurzen Darstellung der Region wird der institutionelle Diskurs, der von Schlagworten wie „Europe im Kleinen“ oder „gemeinsame Vergangenheit“ geprägt ist, somit also auf die Relativierung von nationalen Grenzen abzielt, erläutert. Aus einer sozialkonstruktivistischen Perspektive heraus geht der Autor der Frage nach, inwiefern eine Großregion SaarLorLux im Kontext nationaler Grenzziehungen identifiziert wird und inwiefern sich die Bewohner der Region mit dem (grenzüberschreitenden) Raum identifizieren.

Zu Beginn wird ein Analysemodell (4-Felder-Matrix) entwickelt, das die Untersuchung räumlicher Identitäten als Doing Identity ermöglicht. Das Modell umfasst die empirischen Betrachtungsebenen „institutionelle Dimension“ und „alltagskulturelle Dimension“ sowie die konzeptionellen Zugänge „Identifikation von Raum“ und „Identifizierung mit Raum“. Die heuristischen Leitfragen beziehen sich auf institutionelle Identifikationen (QA), alltagskulturelle Identifikationen (QB), alltagskulturelle Identifizierungen (QC) und Identifizierungen mit institutionellen Kategorien (QD). Die Ergebnisse werden im folgenden zusammengefasst.

Die Untersuchung von institutionellen Identifikationen (QA), basiert auf den Ergebnissen von Sonja Kmec (2010) Arbeit über die diskursiven Konstruktionen der Großregion („Les constructions discursives de la Grande Région“). Sie stellt u.a. fest, dass die Großregion eine politische Konstruktion der 1970er Jahre ist und arbeitet „gemeinsame großregionale Identität“ als Motiv des politischen Diskurses heraus. Dieses generelle Motiv lässt sich wiederum in verschiedene Teilmotive untergliedern:

  • gemeinsame Vergangenheit (l’Europe avant-la-lettre)
  • gemeinsame Gegenwart (l’Europe en miniature)
  • gemeinsame Zukunft (l’Europe en harmonie) (Kmec 2010: 54ff.).

Zur Erfassung von alltagskulturellen Identifikationen (QB), wird eine Interviewserie aus Wille/Reckinger/Kmec/Hesse (2016) genutzt, bei der Einwohner der Großregion in offener Form gefragt wurden, was sie unter „Großregion“ verstehen. Die Befragten versuchten zumeist erst den geographischen Zuschnitt der Großregion SaarLorLux zu bestimmen. Zudem gaben einige der befragten Personen an, dass sie den Begriff „Großregion“ aus der medialen Berichterstattung kennen. Ferner wird der Begriff mit der grenzüberschreitenden bzw. europäischen Zusammenarbeit (überwiegend die alltagskulturell erfahrbaren Ergebnisse der Zusammenarbeit) in Verbindung gebracht. Weitere Themenkomplexe sind die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Möglichkeit, „schnell in einem anderen Land zu sein“ (S. 9).

Die Analyse der alltagskulturellen Identifizierungen (QC) basiert auf quantitativen Ergebnisse von Wille/Reckinger/Kmec/Hesse (2016). In Bezug auf die räumlichen Aneignungen wurden das Einkaufen für den täglichen Bedarf, (touristische) Erholungspraktiken im Grünen, der Besuch von kulturellen Veranstaltungen und der Besuch von Freunden am häufigsten genannt.

Die Untersuchung der Identifizierungen mit institutionellen Kategorien (QD) stützt sich ebenfalls auf Ergebnisse von Wille/Reckinger/Kmec/Hesse (2016). Die Hauptfrage lautet: Inwiefern bilden geopolitische Raumkategorien und räumliche Projektionen eine Grundlage für die Identifizierungen der Einwohner mit dem grenzüberschreitenden Raum? Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Einwohner am ehesten zu ihrem Wohnland zugehörig fühlen. Das Zugehörigkeitsempfingen zur Wohnregion und zum Wohnort ist ebenfalls besonders ausgeprägt. Mit der Großregion SaarLorLux identifizieren sich allerdings lediglich ein Drittel der befragten Einwohner. Es folgt eine Betrachtung der Bewertung der Teilmotive nach Wohnregion der Befragten.

Während eine „gemeinsame großregionale Identität“ von Kmec (2010) als Motiv des politischen Diskurses herausgearbeitet wurde, wurde deutlich, dass die Raumkonstitutionen- und –aneignungen der Einwohner zwar auf Identifizierungen der Einwohner der Großregion mit Räumen jenseits nationaler Grenzen verweisen, die Alltagspraktiken jedoch nach wie vor am häufigsten am Wohnort ausgeführt werden.

Inhalt

  1. Einleitung
  2. Zur Analyse räumlicher Identitäten
  3. Institutionelle Identifikationen (QA)
  4. Alltagskulturelle Identifikationen (QB)
  5. Alltagskulturelle Identifizierungen (QC)
  6. Identifizierungen mit institutionellen Kategorien (QD)
  7. Grenzen und räumliche Identitäten
  8. Bibliographie
Fazit

Die Untersuchung von institutionellen Identifikationen zeigt, dass die Großregion eine politische Konstruktion der 1970er Jahre ist. Im politischen Diskurs wird das generelle Motiv einer „gemeinsamen großregionalen Identität“ deutlich. Auf die offene Fragestellung nach dem Verständnis des Begriffs „Großregion“ versuchen die befragten Einwohner meist zunächst den geographischen Zuschnitt der Großregion SaarLorLux zu bestimmen. Zudem gaben einige der befragten Personen an, dass sie den Begriff „Großregion“ aus der medialen Berichterstattung kennen. Ferner wird der Begriff mit der grenzüberschreitenden bzw. europäischen Zusammenarbeit (in Verbindung gebracht. Weitere Themenkomplexe sind die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Möglichkeit, „schnell in einem anderen Land zu sein“ (S. 9). In Bezug auf die räumlichen Aneignungen (alltagskulturellen Identifizierungen) wurden das Einkaufen für den täglichen Bedarf, (touristische) Erholungspraktiken im Grünen, der Besuch von kulturellen Veranstaltungen und der Besuch von Freunden am häufigsten genannt. Die Ergebnisse der Frage nach den Identifizierungen mit institutionellen Kategorien zeigen, dass sich die Einwohner am ehesten zu ihrem Wohnland zugehörig fühlen. Das Zugehörigkeitsempfingen zur Wohnregion und zum Wohnort ist ebenfalls besonders ausgeprägt. Mit der Großregion SaarLorLux identifizieren sich allerdings lediglich ein Drittel der befragten Einwohner. Die politische Vision einer räumlichen Mehrfachzugehörigkeit der Einwohner der Region ist aufgrund der grenzüberschreitenden Alltagspraktiken berechtigt, wenngleich „die Identifizierungen mit der Wohnregion gegenüber Identifizierungen mit dem grenzüberschreitenden Raum (noch) deutlich überwiegen“ (S. 19).

Kernaussagen
  • Zwecks der Analyse der Bedeutung von nationalen Grenzen für räumliche Identitäten in Grenzregionen wird ein mehrdimensionales Analysemodell entwickelt.
  • Während eine „gemeinsame großregionale Identität“ von Kmec (2010) als Motiv des politischen Diskurses herausgearbeitet wurde, wurde deutlich, dass die Raumkonstitutionen- und –aneignungen der Einwohner zwar auf Identifizierungen der Einwohner der Großregion mit Räumen jenseits nationaler Grenzen verweisen, die Alltagspraktiken jedoch nach wie vor am häufigsten am Wohnort ausgeführt werden.
  • Nationale Grenzen nehmen in den Identifizierungs- und Identifikationsvorgängen der Einwohner trotz grenzüberschreitender Verflechtungen einen wichtigen Part ein. Sie gelten dabei jedoch nicht als starre Ordnungskategorien.
Leitung

Christian Wille

Verfasser des Eintrags
Beiträge

Sylvie Considère

Thomas Perrin

Ansprechpartner
Erstellungsdatum
2018
Datum
Verlag
Luxembourg : Key Area MIS - Migration and Intercultural Studies