Angesichts des Schengenabkommmens wurden Grenzkontrollen an den internen EU-Innengrenzen größtenteils abgeschafft. 30 Jahre nach der Unterzeichnung dieses Abkommens ist Europa mit der “Flüchtlingskrise” (EC 2016) konfrontiert. Nach jüngsten Geschehnissen wie den Terroranschlägen in Paris und Brüssel beschlossen manche Länder die Wiedereinrichtung von Grenzkontrollen. Was sind die Auswirkungen der Wiedereinführung dieser Grenzkontrollen aus einer räumlichen Perspektive? Um diese Frage zu beantworten schlagen die Autor_innen einen synthetischen Literaturüberblick über konzeptionelle Instrumente vor, um die Wiedereinführung der Grenzkontrollen zu analysieren und um diese mit einer Auswahl an empirischen Befunden zu verbinden. Der Fokus liegt auf der Großregion, einer grenzüberschreitende Region, in der funktionale Abläufe wichtig sind.
Zwecks der Analyse der Bedeutung von nationalen Grenzen für räumliche Identitäten in Grenzregionen wird ein mehrdimensionales Analysemodell entwickelt. Am Beispiel der Großregion SaarLorLux wird sowohl nach der Repräsentation des Raums und der Organisation der Alltagspraktiken der Einwohner der Region, als auch den räumlichen Projektionen in politischen Diskursen gefragt. Es wird deutlich, dass nationale Grenzen in den Identifizierungs- und Identifikationsvorgängen der Einwohner trotz grenzüberschreitender Verflechtungen einen wichtigen Part einnehmen. Sie gelten dabei jedoch nicht als starre Ordnungskategorien.
In den vergangenen Jahren ist die Anzahl der Personen aus Luxemburg, die ihren Wohnsitz in den deutschen Grenzraum verlegen beträchtlich angestiegen. Basierend auf vier unterschiedlichen Studien, die sich mit dieser Entwicklung befassen, zeigt der Beitrag dass die grenzüberschreitenden Praktiken zwar zu einer Relativierung der nationalen Grenzen beigetragen habe, diese aber anhand neuer Grenzziehungen, wie bspw. räumlicher Differenzierungen und sozialer Grenzziehungen, fortbestehen.
Der Autor geht der Frage nach, ob das intensive Pendleraufkommen tatsächlich - wie meist im öffentlichen Diskurs proklamiert - als Zeichen einer fortschreitenden Integration bezeichnet werden kann oder ob es eher als Hinweis für andauernde sozioökonomische Ungleichgewichte zwischen den Teilregionen zu deuten ist. Dazu erstellt er eine Gegenüberstellung von politische Visionen und empirischen Wirklichkeiten. In dem Fazit „Grenzüberschreitender Arbeitsmarkt zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ unterstreicht Christian WILLE die asymmetrische Konfiguration der Beschäftigung. Diese ist einerseits auf Luxemburgs starken Ausbau des Dienstleistungssektors und die damit verbundene zentrale Position in Bezug auf die grenzüberschreitende Beschäftigung zurückzuführen, andererseits wird deutlich, wie sehr etwa die Regionen in Nordfrankreich nach wie vor unter dem Strukturwandel leiden. Es ist demnach eher von einem regionalen Auseinanderklaffen der Beschäftigung zu sprechen. Diese Heterogenität der sozioökonomischen Rahmenbedingungen muss allerdings gleichzeitig als Triebfeder der grenzüberschreitenden Beschäftigung anerkannt werden.
In dem „Beitrag B/Ordering in der Großregion. Mobilitäten – Grenzen – Identitäten“ hinterfragt Christian WILLE das in dem Leitbild für die regionalpolitische Zusammenarbeit in der Großregion prognostizierte Zugehörigkeitsgefühl der Bewohner des Vierländerecks. Der Autor untersucht, „welche Ordnungen des Eigenen/Fremden sich im Selbstverständnis der Bewohner der Großregion abzeichnen und inwiefern diese auf eine grenzüberschreitende Identität schließen lassen“ (S. 52) und arbeitet drei zentrale Merkmale von Identitätskonstruktionen heraus.
Das Land Luxemburg im Herzen der Großregion ist ein bedeutender internationaler Finanzplatz, der als « Finanzcluster » betrachtet werden kann. Die Aktivität des dortigen Finanzsektors trägt direkt oder indirekt zum wirtschaftlichen Wachstum des Landes und der umliegenden Regionen bei. Basierend auf dem Ansatz von Porter zeigt dieser Artikel, dass eine Verbindung zwischen den grenzüberschreitenden Pendlerströmen und der Anziehung von Schlüsselkompetenzen im Sinne eines Wettbewerbsvorteils für den luxemburgischen Finanzsektor besteht. Diese Beobachtung wird von einer detaillierten Analyse der grenzüberschreitenden Arbeitnehmer_innen und der Besonderheit des Arbeitsmarktes und der Wirtschaft in Luxemburg untermauert. Jedoch scheinen die beschriebenen Wechselbeziehungen von den Strukturreformen und den Konjunkturschwankungen des Antriebslands betroffen zu sein, was von einer „prozyklischen“ Verbindung zeugt.
Innerhalb der Großregion Saar-Lor-Lux wird die Entwicklung der grenzüberschreitenden Erwerbstätigkeit stets von einer Diversifizierung der Beschäftigungsformen begleitet, wie beispielsweise der grenzüberschreitenden Leiharbeit. Zeitarbeitsunternehmen haben sich als neue Arbeitsvermittler in diesem Grenzraum etabliert und befördern dort die Entwicklung besonderer Beschäftigungsformen. Dabei ziehen sie Vorteile aus den verschiedenen Sozial- und Finanzrechtssystemen zwischen den Ländern und tragen somit zu einer Selektion der grenznahen Arbeitskräfte bei. Die überlassenen Leiharbeiter_innen sind relativ gut ausgebildet, qualifiziert und werden von den Leiharbeitsfirmen beschäftigt. Während die befristete Entsendung von Arbeitnehmern zwar ein klassisches Mittel der Arbeitsflexibilität darstellt und es ermöglicht, auf dem Gebiet fehlende Qualifikationen heranzuziehen, so ist sie jedoch gleichzeitig ein Instrument Management der unterschiedlichen Lohnkosten auf beiden Seiten der Grenze. Diese grenzüberschreitenden Überlassungspraktiken bergen jedoch in großem Umfang das Risiko, einen Prozess der Deterritorialisierung nationaler Regelsysteme zu fördern, die die nationalen Reglementierungssysteme in den Bereichen Steuern und Sozialschutz innerhalb der Großregion miteinander in Konkurrenz bringt.