Place-making and the bordering of urban space: Interpreting the emergence of new neigh-bourhoods in Berlin and Budapest

Place-making and the bordering of urban space: Interpreting the emergence of new neigh-bourhoods in Berlin and Budapest

Grenzraum
Berlin, Deutschland, Budapest, Ungarn
Sprache(n)
Englisch
Einleitung

Im Rahmen städtischer Entwicklung entstehen (inner-) städtische Grenzen durch räumlich-soziale Abgrenzungsmechanismen und als Begleiterscheinung von Verdrängungsbewegungen, die zur Enstehung spezifischer Ortsvorstellungen/Ortsideale und Identitäten führen.

Zusammenfassung

Dieser Beitrag erörtert die Entstehung von Grenzen im Kontext der Stadtentwicklung von Berlin (Deutschland) und Budapest (Ungarn). Er begreift städtische Grenzen als gesellschaftliche Geg-ebenheiten, die mancherorts als Ergebnis sozialer Beziehungen entstehen und städtische Räume verändern. Diese abgegrenzten Räume markieren eine räumlich-soziale Unterscheidung und werden laufend immer wieder (neu) erschaffen und ausgehandelt. Städtische Grenzen tragen zur Entstehung eines Ortsgefühls bei und werden in den Prozessen der Ortsgestaltung geschaffen, die sich auf den Grenzmechanismus der Zuweisung, der Aneignung und Repräsen-tation von Orten beziehen.

Inhalt

Der Artikel beginnt mit allgemeinen Überlegungen zu Grenzen, bevor er sich den städtischen Grenzen zuwendet. Grenzen habe unterschiedliche Aufgaben: sie bestimmen das gesell-schaftliche Leben, sie erlauben es Gemeinschaften, sich selbst zu erhalten, und erschaffen kollektive und individuelle Identitäten (S. 2). Scott und Sohn deuten Grenzmechanismen im Hinblick auf die Schaffung, Neuschaffung und Anfechtung sozialräumlicher Unterscheidungen sowohl auf formaler (z. B. politischer) als auch auf alltäglicher Ebene (ebd.). Urbane Grenzen entstehen vor allem aus zwei Bedürfnissen, zum einen aus dem Entstehen neuer städtischer Räume und zum anderen aus dem Bedürfnis nach einem Gefühl der "Verwurzelung", einem Ort der Identifikation (S. 4).

Die Autoren beziehen sich auf Lefebvres Konzepte von Raumpolitiken, die die “Grenzziehung als eine Form des Erschaffens, Bestätigens und Neu-Erschaffens von gesellschaftlich-räumlichen Unterscheidungen” verstehen (S. 5). Im Hinblick auf städtische Räume definieren sie die fol-genden drei Mechanismen, die "Ortsvorstellungen vermitteln und einen Ort abgrenzen" (ebd.): Zuweisung, Aneignung und Repräsentation. Aneignung ist die kognitive Assoziation von  Eigen-schaften mit einem Ort. Diese Assoziation beschreibt, “was ein Ort darstellt und was nicht” (ebd.), z. B. dessen Funktion, Lifestyle, Milieu, gesellschaftlicher Ruf. Aneignung schafft Orts-Identitäten durch die alltägliche Nutzung und das Leben an Orten, etwa durch deren Benen-nung oder durch performative Akte (ebd.). Der dritte Mechanismus, die Repräsentation, schließt die beiden anderen Mechanismen ein, “sie bewirkt, basierend auf gesellschaftlich vermittelten Kontexten, Bildern und Symbolen, kohärente Orts-Vorstellungen, die eine räumlich-soziale Unterscheidung schaffen” (S. 6). Diese drei Mechanismen sind miteinander verbunden und voneinander abhängig. Darüber hinaus ist Grenzziehung ein multiskalarer Prozess, der interne und externe Interaktionen einschließt (ebd.).

Die Autoren verdeutlichen die Funktionsweise dieser drei Mechanismen, indem sie Beispiele von (Neu-)Grenzziehungsprozessen in Berlin und Budapest diskutieren und sich dabei auf die Bezirke “Kreuzkölln” und “Nyócker” beziehen (S. 6 ff). Sie analysieren die Ortsbildung durch Abgrenzung und konzentrieren sich auf die gesellschaftliche Institutionalisierung der jeweiligen Nachbarschaftsideen.

Der Berliner Bezirk Kreuzkölln liegt zwischen dem positiv konnotierten Kreuzberg und dem eher negativ konnotierten Bezirk Neukölln (S. 7). Kreuzkölln ist, beginnend mit der Jahr¬tausend-wende, das Ergebnis einer Ortsbildung und einer Grenz-(Neu-)Schaffung in einem innerstäd-tischen Gebiet. Einerseits verkörpert Kreuzkölln die typische Geschichte einer Gentrifizierung aus wirtschaftlichen Gründen (S. 7), beansprucht für sich aber andererseits das ortsbes-timmende Narrativ von einem sich selbst bestimmenden und selbst schaffenden Ort (S. 8).

Durch den Druck steigender Mietpreise in Berlin wurde das nördliche Neukölln für Woh-nungssuchende interessant. Der erste Schritt des Image-Wandels eines “durch Kriminalität und Verfall bestimmten Bezirks mit einer bedrohlichen kulturellen Fremdheit durch die breite Mi-grantenbevölkerung” (S. 7) bestand in Programmen für Stadtentwicklung und soziale Integra-tion. Neue Anwohner aus anderen Berliner Stadtteilen brachten mehr Wohlstand und neue Geschäfte nach Kreuzkölln. Die Bewohner veränderten das Gebiet durch den gelebten Raum und aktive Abgrenzungspraktiken. Die Aneignung vollzog sich über Clubs, Cafés, Galerien und eine neue Musik-Szene (S.8). Der Bezirk bestand aus IT-Bohémiens, armen Arbeiterschichten und Migranten aus unterschiedlichen Kulturen (S. 8). Nationale und internationale Medien ha-ben die Außendarstellung eines Kreuzkölln geschaffen, das nun mit städtischem Wandel, Erneuerung, Multikulturalität und dem Lifestyle einer hippen Yuppisierung in Verbindung ge-bracht wird (S.7).

Nyócker unterscheidet sich als ein nicht definiertes Gebiet im östlichen VIII. Bezirk von Buda-pest von Kreuzkölln durch seine Geschichte und andere externen Einflüsse. Nach dem Ende des Staatssozialismus 1989 als “Roma-Ghetto” mit “deutlich sichtbaren und wahr¬nehmungs-bezogenen Grenzen” (S.10) isoliert und stagmatisiert, wurde Nyócker von der Stadtpolitik ver-nachlässigt. Während die umliegenden innerstädtischen Gebiete von Erneuerungs- und Gen-trifizierungsprozessen profitierten, wurde Nyócker vernachlässigt, seine Bewohner zu Opfern ethnischer Diskriminierung und städtischer Verarmung. Zunächst waren es örtliche Kulturein-richtungen, NGOs, Organisationen der Roma-Gemeinschaft, Künstler und alternative Gründer, dann Aktivisten und junge Roma, die den Bezirk veränderten und den Menschen ein positives Bild von sich selbst vermittelten (S. 11). Medien betrachteten Nyócker als kulturell reichhaltig und als Symbol eines “alternativen Budapest” (S. 11), was ab 2004/5  zu erhöhter nationaler und internationaler Aufmerksamkeit führte. Die Bezirksregierung rief ortsgestaltende Projekte zur öffentlichen Sicherheit, Infrastruktur, Umgestaltung des öffentlichen Raumes und Roma-Musik ins Leben (S. 12). In der Folge hat Nyócker sich als Ort für Roma-Kultur neu geschaffen und sich durch Ortsbildung und Neu-Abgrenzung ein neues Selbstbild gegeben.

Fazit

Scott und Sohn zeigen in ihrem Beitrag, wie sowohl die Grenzziehung als auch die Ortsbildung “rekursive Prozesse des Aufbaus, des Wiederaufbaus und damit gesellschaftlich kommuniz-ierende räumlich-soziale Unterscheidung“ mit einbeziehen (S. 13). Die Bedeutung und Rolle der drei Mechanismen Zuweisung, Aneignung und Repräsentation sowie deren Interaktionen werden im Zusammenhang mit städtischer (Neu-)Entwicklung und der Entstehung neuer Ontol-ogien für Orte diskutiert. Städtischer Raum wird ständig von Einzelnen oder Gruppen neu er-schaffen, an spezifischen Orten und abhängig von äußeren Wahrnehmungen, Diskursen, Poli-tiken und Idealen. Die beiden Fälle Kreuzkölln (Berlin) und Nyócker (Budapest) sind beispielhaft für (Neu-)Abgrenzungen und (Neu-)Abbildungen von urbanen Bezirken und leisten  einen the-oretischen und empirischen Beitrag zur Debatte um die gesellschaftliche Konstruktion von Grenzen auf verschiedenen Ebenen.

Kernaussagen
  • Grenzen sind gesellschaftliche Konstruktionen, die von unterschiedlichen Menschengrup-pen immer wieder verändert werden und die auf unterschiedlichen Ebenen räumliche Identitäten formen und definieren.
  • Sowohl Grenzziehungen als auch Ortsbildungen beziehen rekursive Prozesse des Aufbaus, des Wiederaufbaus und damit gesellschaftlich kommunizierende räumlich-soziale Unter-scheidung mit ein.
  • Stadtgrenzen sind ein soziales Produkt des Raums und stehen im Mittelpunkt des Konzepts der Ortsbildung.
  • Drei Mechanismen vermitteln Ortsvorstellungen und begrenzen Orte: Zuweisung, Aneig-nung, Repräsentation.
  • Städtische Grenzen führen zu Trennung, Marginalisierung und Ausgrenzung, aber auch zu Differenzierung, Aneignung und Identitätsbildung.
Leitung

James W. Scott, University of Eastern Finland, Christoph Sohn, Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (LISER).

 

Verfasser des Eintrags
Ansprechpartner
Erstellungsdatum
2020
Erschienen in
European Urban and Regional Studies, Vol 26, Issue 3, 2019