Conversation and Commentary : Feminist Border Theories – Expanding our Perspectives

Conversation and Commentary : Feminist Border Theories – Expanding our Perspectives

Grenzraum
Österreich, Vereinigtes Königreich
Sprache(n)
Englisch
Einleitung

In kurzen Kommentaren thematisieren die sechs Autorinnen ihre Standpunkte zum Verhältnis  von Grenzen, Geschlecht sowie Inklusion und Exklusion und führen - für ein besseres Verständnis der Komplexität von Grenzen - feministische und grenzbezogene Theorien zusammen.

Zusammenfassung

Die sechs Beiträge dieses Forums zu feministischer Grenztheorie bieten unterschiedliche Blickwinkel auf die Beziehungen zwischen Geschlecht, Grenzen, Macht, Identität, Unterschied und Solidarität. Die Autorinnen stützen sich auf feministische Theorien, um geschlechts-spezifische Grenzpolitik, gewalttätige Auseinandersetzungen an den Grenzen sowie Praktiken der Grenzziehung an und hinter Ländergrenzen zu beleuchten und zu analysieren. Sie verdeutlichen ihre Argumente mit Hilfe von Beispielen an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze und an den italienischen Grenzen und verweisen auf Bewegungen von Hausangestellten, rassistische Politiken der Spaltung und Familientrennung. Darüber hinaus zeigen sie aber auch wie, Grenz-Identitäten, Nepantla-Aktivismus und Koalitionen über grenz(raum)bedingte Verschiedenheiten hinaus zu neuen Formen von Solidarität, Identität und Widerstand führen können.

Inhalt

Die Debatte wird von Lisa Flores mit einer einführenden Beschreibung des thematischen Zusammenhangs eröffnet. Vor dem Hintergrund von Familientrennung und Gewaltanwendung 2018 an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze fordert sie einen feministischen Ansatz, um die Komplexität von Grenzen zu untersuchen (S. 113). Dazu hat sie fünf feministische Forscherinnen zu der Forumsdebatte eingeladen (S. 114).

In dem anschließenden ersten Kommentar berichtet Minu Basnet über die Zusammenhänge von Grenzen und Hausangestellten in den USA, welche zu 46% außerhalb der USA geboren wurden. Hausarbeit wird damit zu Recht zu einer Grenzfrage (S. 116). Basnet richtet ein besonderes Augenmerk auf die (un-)sichtbaren Grenzen, aufgrund derer Haushaltskräfte sich  Bewegungen anschließen und “über Unterschiede hinweg Allianzen bilden” (ebd.). Was die Geschlechterfrage betrifft, so unterstreicht Basnet die Bedeutung dessen, was sie “feminis-tische Grenzrhethorik” nennt – ein kritisches Vergrößerungsglas zur Erforschung der Verflechtung von Geschlecht und anderen Feldern von Ungleichbehandlung wie etwa Herkunftsnation oder Arbeitswelt, in denen diese Grenzerfahrungen des Hauspersonals gemacht werden (S.117). Basnet zeigt, dass die Hausarbeiter-Bewegungen über eine feministische Grenzrhethorik verfügen, die Unterschiede durch Solidarität überbrückt und “die Mechanismen berücksichtigt, mit denen das Geschlecht mit anderen Ungleichheiten verknüpft wird” (S. 119). Sie unterstreicht, dass “rhethorische Wirkung wichtig ist, um Stereotypen zu begegnen, die sich aus den (un-)sichtbaren Grenzen ableiten lassen” (S. 118). Die Autorin schließt damit, dass es jenseits der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze noch andere Grenzen gibt, die auf komplizierte Weise mit “verdeckten Exklusionen” zu tun haben (S. 119).

Im zweiten Kommentar erläutert Stacey Sowards ihre Position zu Grenzen in deren Eigenschaft als Räume für Interaktion und neue Denkrichtungen; dies im Lichte einiger feministischer Theorien wie etwa der von Chela Sandovals Vorstellung des “differenziellen Bewusstseins” (“differential consciousness”) oder der von Sara Ahmeds Begriff des “bewussten Anstoßens” (“willful bumping”) (S. 120). “Differenzielles Bewußtsein und bewusstes Anstoßen definieren demnach differenzielle Grenzziehung anhand feministischer widerständischer Ansätze, die den Unterschied nutzen, um jene neuen Wege des Denkens, des Seins und des Handelns in der Welt zu erforschen, die sich oft aus gelebten Erfahrungen ableiten, wie etwa der, auf einer Grenze zu leben” (ebd.). Sowards beschreibt differenzielles Bewusstsein und bewusstes Anstoßen anhand von drei Beispielen zu der Frage, inwieweit Orte, Unterschiede und Sprachen Grenzen beeinflussen und Grenzen ihrerseits feministische Theorien (ebd.).

Der vierte Kommentar von Julia Khrebtan-Hörhager verschiebt den geographischen Fokus von den USA nach Italien. Die Autorin setzt sich kritisch mit Salvinis Politik auseinander und der Frage, inwieweit diese Politik die derzeitige italienische, aber auch europäische Grenzkultur beeinflusst. Salvini zieht eine sprachliche Grenze nicht nur zwischen Italienern und dem restlichen Europa (der Welt), sondern auch innerhalb seines Landes zwischen Italienern, als schüfe er gewissermaßen eine Identitätshierarchie, die jene abwertet und marginalisiert, die nicht in das traditionelle Wertesystem passen und nicht zu den Merkmalen, die er mit dem Wesen des Italieners assoziiert, nämlich “katholisch, patriarchisch, heterosexuell” (S. 125 ff). Dies schafft Grenzen zwischen denen, die sich zu diesen Werten bekennen und jenen, die das nicht tun, zwischen Nord und Süd und vor allem zwischen Italienern und Zuwanderern (S.127). Diese Praxis von intersektionaler Fremdmachung und Salvinis patriarchalische, xenophobische, homophobische und mysogyne Ideologie erzeugt Grenzen nicht nur zwischen Rassen, Schichten oder Geschlechtern, sondern innerhalb der Menschheit (S. 127).

Im fünften Kommentar geht es für  Leandra Hinojosa Hernández um Familientrennung und reproduktive Gewalt an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze. Mit der Umsetzung von Trumps “Null-Toleranz”-Politik gegenüber Immigranten im Jahre 2018 kam es systematisch zu Familientrennungen, bei denen, auf Betreiben der Bundesbehörden an der Grenze, 13.000 Kinder von ihren Eltern oder Schutzpersonen getrennt wurden (S. 130). Hernández bezeichnet eine solche Trennung als “eine Form der geschlechtsspezifischen reproduktiven Gewalt”. Sie bietet für die nähere Betrachtung der Menschenrechtsverletzungen bei Migranten eine Kombination aus feministischen Theorien und Grenztheorien an (ebd.). Durch den Bezug auf das theoretische Gerüst von Intersektionalität und reproduktiver Gerechtigkeit wird  deutlich, wie eng Strukturen wie “Politiken, Regierungsentscheidungen und Strategien mit nationalen und internationalen Konflikten” verwoben sind und wie all diese Faktoren die physische Selbstbestimmung und Reproduktionsrechte von Migrantenfrauen beeinträchtigen (S. 131).

Der letzte Kommentar von  Sarah De Los Santos Upton beschäftigt sich aus einer “theoretischen Chicana-feministischen Perspektive” mit den “Zwischenbereichen” von “Grenzgebieten” (S. 135). Unter Bezug auf Gloria Anzaldúas wegweisende Arbeit betrachtet die Autorin Grenzgebiete als Räume, die eine ständige innere Zerissenheit zwischen zwei Kulturen darstellen und reproduzieren und die von vielen Menschen auf oder nahe der Grenze erlebt werden. Andererseits stellen Grenzgebiete eine wertvolle Quelle für Wandel und Fortschritt dar (ebd.). Los Santos Upton verwendet den Begriff des “Nepantla”, den “Zwischen¬bereich”, in dem Identitäten “hinterfragt, zerstört und vielleicht wieder erneuert” werden (S. 136). Ein wichtiger Gedanke bei Nepantla ist das Schaffen von Koalitionen. Menschen mit unterschiedlichen Identitäten finden sich in einem Akt der Solidarität zusammen, wenn sie thematische Überschneidungen entdecken, wie bei queerer Migrationspolitik zu erkennen, wo LGBTQ- und Migrantenpolitik miteinander verschmelzen (S. 137). Die Autorin betont, dass sie Nepantla-Aktivismus als eine starke Form der Koalitionsbildung über Grenzen hinweg be-trachtet (S. 138).

Fazit

Die Autorinnen kommen aufgrund ihrer Überlegungen zu verschiedenen Schlussfolgerungen. Flores betont, dass Grenzen und eine verfehlte Grenzpolitik in hohem Maße für Gewalt und besonders für geschlechtsbezogene Gewalt verantwortlich sind, hebt aber auch hervor, dass sie Raum für Verbindung und Stärke sein können (S. 114). Basnet fasst zusammen, dass eine Fokussierung auf feministische Grenzrhethorik dazu beiträgt, “verdeckte Exklusion” zu erkennen, was uns hilft, jene von Grenzen ausgehenden Herausforderungen zu erkennen, die  an Frauen und deren Umgang mit diesen Herausforderungen gestellt werden (S. 119). Aus Sichtweise der differenziellen Grenzziehung, zu diesem Schluss kommt Sowards, werden Orte mehr und mehr zu temporären und fließenden Räumen, deren Einfluss auf Grenzbewohner und deren Erfahrungen, physisch und psychologisch, besser verstanden werden (S. 121). Khrebtan-Hörhager stellt fest, dass die feministische Sichtweise der differenziellen Fremdmachung “über Nationalitäten, Zeit und Raum hinausreicht. Sie errichtet zwischen den Menschen geographische und rhethorische Grenzen und verändert das Wesen unserer Demokratie irreversibel (S. 128). Hernández verweist zum Schluss auf die Bedeutung eines intersektionalen Ansatzes im Hinblick auf reproduktive Ungerechtigkeiten und Grenzgewalt mit dem Hinweis, dass “Forscher, Erzieher und Aktivisten gleichermaßen, indem sie beide epistemologischen Ansätze nutzen, zusammenarbeiten können, um sich in Koalitionen zu engagieren und Intersektionalität (Chávez) an den Rändern und Grenzen zu praktizieren, wo sie am meisten gebraucht wird (S. 133). Los Santos Upton schließt den letzten Kommentar mit einem Aufruf, “unser Verständnis davon zu verkomplizieren, wie Menschen diesen symboli-schen und materiellen Bedingungen widerstehen”, die ihnen von Grenzräumen aufgezwungen werden (S. 138). Sie hebt die Kraft von Koalitionen hervor, die sie als "Grenzräume betrachtet, in denen sich die gelebten Erfahrungen der Menschen mit der Politik überschneiden, Visionen und Praktiken entstehen, die die Zusammenarbeit mit anderen zum Ziel haben, um einen bedeutsamen sozialen Wandel herbeizuführen" (p. 137).

Kernaussagen

Die Zusammenführung von feministischer Theorie und Grenztheorie trägt dazu bei, das Verständnis von Grenzen zu verkomplizieren und die komplexen Beziehungen zwischen Grenzen und Geschlecht zu analysieren. Theoretische feministische Gerüste erweisen sich als hilfreich für das Verständnis von geschlechtsbezogenen Politiken und Grenzen schaffenden Praktiken. Feministische Grenzrhethorik offenbart verdeckte Exklusion, Vorstellungen von differenziellem Bewusstsein und bewusstem Anstoßen helfen, differenzielle Grenzziehungs-prozesse und deren intersektionale Bedeutung zu verstehen. Über intersektionale Fremdmachung werden Grenzziehungsprozesse durch Rassismus, Xenophobie, Homo- und Transphobie offensichtlich. Die Fokussierung auf reproduktive Ungerechtigkeit macht geschlechtsbezogene Grenzgewalt sichtbar, die Vorstellungen von Nepantla und Koalitionsbildung erleichtern die Analyse von Konflikten an den Grenzen, von feministischem Grenzaktivismus und von unterschiedsübergreifender Solidarität.

Leitung

Lisa A. Flores, Department of Communication, University of Colorado, Boulder
Minu Basnet, Department of English and World Languages, Colorado State University-Pueblo
Stacey K. Sowards, Department of Communication, University of Texas, El Paso
Julia Khrebtan-Hörhager, Department of Communication Studies, Colorado State University
Lenadra Hinojosa Hernández, Department of Communication, Utah Valley University
Sarah De Los Santos UptoRebn, Department of Communication, University of Texas, El Paso

Verfasser des Eintrags
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Erstellungsdatum
2020