Border Experiences in Europe. Everyday Life - Working Life - Communication – Languages

Border Experiences in Europe. Everyday Life - Working Life - Communication – Languages

Grenzraum
Europa, Großregion, Frankreich, Spanien, Deutschland, Polen, Luxemburg, Belgien
Sprache(n)
Englisch
Einleitung

Das Buch gibt Einblicke in Lebensrealitäten in Europa, in denen Grenzen relevant (gemacht) werden. Die Autoren thematisieren alltägliche kulturelle Erfahrungen der Grenze im Kontext von Migration und Mobilitätsformen sowie Sprachkontaktsituationen.

Zusammenfassung

Seit einem Jahrzehnt stehen die Grenzen in Europa wieder auf der politischen Tagesordnung. Die Grenzforschung hat darauf reagiert und beschreitet neue Wege bei der Reflexion über und in der Erforschung von Grenzen. Das vorliegende Buch folgt dieser Entwicklung und stärkt eine an Lebensrealitäten interessierte Perspektive, die sich auf die alltägliche kulturelle Erfahrung von Grenzen konzentriert. Die Autoren bilden solche Erfahrungen im Kontext unterschiedlicher Formen von Migration und Mobilität sowie Sprachkontaktsituationen ab. Auf diese Weise weisen sie alltagskulturelle Verwendungs- oder Aneignungsstrategien von Grenzen als sehr unterschiedliche Grenzerfahrungen empirisch nach. Die Leserinnen und Leser des Bandes erhalten Einblicke in aktuelle Entwicklungen der Grenzforschung und in die Lebensrealitäten in Europa, in denen Grenzen relevant (gemacht) werden.

Inhalt

Der englischsprachige Sammelband ist aus der Europa-Konferenz „Differences and discontinuities in a ‚Europe without borders‘“ (2016) der Association for Borderlands Studies hervorgegangen und wurde von Christian Wille und Birte Nienaber im Januar 2020 herausgegeben. Der Band versammelt zwölf Beiträge von Sozial- und Kulturwissenschaftler*innen, die sich nach zwei einleitenden Texten in die Themenfelder „Border Experiences: Everyday Life and Working Life“ und „Border Experiences: Communication and Languages“ untergliedern. Die Beiträge setzen sich mit der sozialen Wirkmächtigkeit von Grenzen auseinander, insbesondere im Kontext von internationaler Migration, grenzüberschreitender Wohnmigration, Reise-, Grenzpendler- und anderer Alltagsmobilität sowie in Sprachkontaktsituationen.

Die Beiträge werden von einem übergreifenden Ansatz gerahmt, der mit dem Begriff „border experiences“ auf die Rolle und Wirkmächtigkeit von Grenzen in alltagskulturellen Lebenswirklichkeiten fokussiert. Dieser Ansatz zielt nicht auf die Grenze als einen ontologischen, linienförmigen und am territorialen Rand lokalisierten Gegenstand, sondern auf die (räumlich, zeitlich und sozial flottierenden) Prozesse der (De-)Stabilisierung von Grenzen – und damit auf ihre gesellschaftlichen Hervorbringungs- und Bearbeitungsweisen, wie sie sich in und durch soziale Praktiken und Diskurse vollziehen. Der Ansatz „border experiences“ macht die Perspektive, Rolle und damit Agency derjenigen stark, die die Grenze ‘bewohnen’: D.h., die in sie verstrickt sind und sie über ihre Erfahrungen bzw. Sinnproduktionen in und durch Alltagspraktiken, Erzählungen, Repräsentationen oder Objekte fortlaufend (re-)produzieren. Dabei handelt es sich um eine Betrachtungsweise, die ‚Grenz(raum)bewohner‘ und ihr Grenz-Erleben in den Mittelpunkt stellt, um die Wirkungs- und Funktionsweisen, aber vor allem die Aneignungsweisen von Grenzen besser zu verstehen.

Der Ansatz steht dabei nicht lediglich für einen ergänzenden Blick auf die Grenze durch die Augen der von ihr ‚Betroffenen‘; „border experiences“ werden vielmehr über den Blick durch die Grenze erschlossen. Dieses Vorgehen wird umgesetzt, indem der Grenze in ihre performativen Arenen gefolgt wird: dorthin, wo sie als alltagskulturelle (Re-)Produktion stattfindet. Dazu zählen Momente der Repräsentation bzw. Sinnproduktion, die in Praktiken, Diskursen oder Objekten codiert sind und in denen Grenzen relevant (gemacht) werden. Weiter implizieren „border experiences“ ein multiples Verständnis von Grenzen, das weder marginalisierte noch privilegierte Akteure ausschließt. Der Ansatz bezieht sich vielmehr auf die Gesamtheit der Akteure, die in Grenz(de)stabilisierungen wirksam sind und vermag den Umstand zu berücksichtigen, dass Grenzen für verschiedene Akteure in unterschiedlicher Weise wirksam werden (können).

Die Publikation fasst die folgenden Beiträge zusammen :

  • Christian Wille, Birte Nienaber: Borders and border experiences (Grenzen und Erfahrungen der Grenze)
  • Carsten Yndigegn: The Europe without borders discourse and splitting European identities (Der Diskurs über das Europa ohne Grenzen und die Spaltung der europäischen Identitäten)
  • Ignacy Jóźwiak: Cross-border links at the boundaries of the European Union: an ethnography of mobility, work, and citizenship in uncertain times (Grenzüberschreitende Verbindungen an den Grenzen der Europäischen Union: eine Ethnographie von Mobilität, Arbeit und Staatsbürgerschaft in unsicheren Zeiten)
  • Ariela House: Passports and mobility at Spain’s border with France, 1966–1978 (Pässe und Mobilität an der Grenze zwischen Spanien und Frankreich, 1966-1978)
  • Isabelle Pigeron-Piroth, Rachid Belkacem: The economic impact of cross-border work on the municipalities of residence: an example at the French–Luxembourgish border (Die wirtschaftlichen Auswirkungen der grenzüberschreitenden Arbeit auf die Wohnsitzgemeinden: ein Beispiel an der französisch-luxemburgischen Grenze)
  • Christian Wille, Ursula Roos: Cross-border everyday lives on the Luxembourg border? An empirical approach: the example of cross-border commuters and residential migrants (Grenzüberschreitender Alltag an der luxemburgischen Grenze? Ein empirischer Ansatz: das Beispiel von Grenzgängern und Wohnmigranten)
  • Elisabeth Boesen: Moving from nation into region. Experiences and memories of cross-border dwelling in the Greater Region SaarLorLux (Von der Nation zur Region. Erfahrungen und Erinnerungen des grenzüberschreitenden Wohnens in der Großregion SaarLorLux)
  • Dominik Gerst: Epistemic border struggles: exposing, legitimizing, and diversifying border knowledge at a security conference (Epistemische Grenzkämpfe: Aufdeckung, Legitimierung und Diversifizierung von Grenzwissen auf einer Sicherheitskonferenz)
  • Corinne Martin: Digital media practices as digital border experiences among French cross-border commuters in Luxembourg (Digitale Medienpraktiken als digitale Grenzerfahrungen bei französischen Grenzgängern in Luxemburg)
  • Florian Dost, Konstanze Jungbluth, Nicole Richter: Betweenness and the emergence of order (Dazwischenstehen und das Entstehen von Ordnung)
  • Erika Kalocsányiová: Researching forced migrants’ trajectories: encounters with multilingualism (Erforschung des Lebenswegs von Zwangsmigranten: Begegnungen mit der Mehrsprachigkeit)
  • Xosé-Afonso Álvarez Pérez: Border experiences along the Portugal/Spain border: a contribution from language documentation (Erfahrungen der Grenze an der Grenze zwischen Portugal und Spanien: ein Beitrag zur Sprachdokumentation)
Fazit

Der umrissene Ansatz wird in dem Band in Fallbeispielen aus den Bereichen Lebens- und Arbeitswelten sowie Kommunikation und Sprache angewandt. Die Annäherung der Autor*innen lässt sich über drei Frageperspektiven zusammenfassen. Dabei handelt es sich erstens um die Frage, inwiefern Grenzen in und durch Praktiken, Diskurse oder Objekte (re-)produziert werden. Darüber soll für die alltagskulturellen Schauplätze von Grenzen sensibilisiert werden. Das Spektrum solcher Schauplätze ist vielfältig und reicht von (grenzüberschreitenden) Freizeitpraktiken, Einkaufs- und Informationspraktiken über solche, die im Zusammenhang mit (grenzüberschreitender) Berufstätigkeit oder Wohnsitzverlagerung stehen bis hin zu Grenzkontrollpraktiken oder Sprachkontaktsituationen. Weiter wird zweitens danach gefragt, welche sozialen Logiken in solche (Re-)Produktionsprozesse eingelassen sind. Diese Frageperspektive adressiert die Sinnstiftungen von alltagskulturellen Grenz(re)produktionen, die auch als „border knowledge“ oder „border culture“ thematisiert werden. Besonders mit Blick auf Grenzregionen soll es hier darum gehen, den strategischen Einsatz oder die lokalen Aneignungsweisen von Grenzen in und durch Alltagspraktiken besser nachzuvollziehen. Zugleich soll es darum gehen, die für Grenzen konstitutiven Sinnstrukturen in Repräsentationen bzw. Projektionen aufzudecken. Darauf gehen mehrere Autor*innen ein, wie etwa Dominik Gerst am Beispiel einer politischen Veranstaltung zu Sicherheitsfragen, Elisabeth Boesen über „moving stories“ von Wohnmigrant*innen, Corinne Martin anhand von Medienpraktiken bei Grenzgängern oder Xosé-Afonso Álvarez Pérez bei Grenzraumbewohner*innen. Schließlich wird drittens danach gefragt, welche Effekte der (Dis-)Kontinuität von Grenzen ausgehen und inwiefern sie für Akteure an oder auf der Grenze wirksam (gemacht) werden. Daneben werden die sich durch Grenzen bzw. Grenzüberschreitungen eröffnenden Möglichkeitsräume herausgearbeitet, die zum Beispiel Isabelle Pigeron-Piroth und Rachid Belkacem als „resource“ fassen, Corinne Martin als „reservoir of cultural resources“ oder Florian Dost, Konstanze Jungbluth und Nicole Richter als von einem Dazwischen gekennzeichneten „liminal space“.

Kernaussagen

Die Hinwendung zu alltagskulturellen Lebenswirklichkeiten als Arenen gesellschaftlicher Hervorbringungs- und Bearbeitungsweisen von Grenzen, wie dies die Autor*innen des Bands vornehmen, ist als ein zu geopolitischen Perspektivierungen komplementärer Ansatz zu verstehen. Er erlaubt es den Border Studies insbesondere über kulturwissenschaftliche Zugänge den simplifizierenden Verständnissen von Grenzen entgegenzuwirken.

Leitung

Christian Wille, Birte Nienaber

 

Verfasser des Eintrags
Beiträge

Christian Wille, Birte Nienaber
Carsten Yndigegn
Ignacy Jóźwiak
Ariela House
Isabelle Pigeron-Piroth, Rachid Belkacem
Christian Wille, Ursula Roos
Elisabeth Boesen
Dominik Gerst
Corinne Martin
Florian Dost, Konstanze Jungbluth, Nicole Richter
Erika Kalocsányiová
Xosé-Afonso Álvarez Pérez

Ansprechpartner
Erstellungsdatum
2020
Identifikationsnummer

ISBN print: 978-3-8487-5444-1
ISBN online: 978-3-8452-9567-1